Jaguar E-Type offene motorhaube mit blick auf den V12

Jaguar E-Type: Britanniens Krönung

Jaguar E-Type offene motorhaube mit blick auf den V12

Ein durch und durch britisches Meisterwerk, das die automobile Schönheit neu definierte, Ferrari auf heimischem Boden herausforderte und bis heute als Maßstab gilt, an dem alle Grand Tourer gemessen werden.


Die Geburt einer Legende: Coventrys Sternstunde

Als auf dem Genfer Autosalon 1961 das Tuch gelüftet wurde, war das kollektive Keuchen der versammelten Presse mehr als nur eine Reaktion – es war die Geburtsstunde einer Ikone. Hier stand nicht einfach ein weiterer Sportwagen, sondern eine Revolution aus Metall und Glas. Enzo Ferrari selbst soll ihn als „das schönste Auto aller Zeiten“ bezeichnet haben – ein außergewöhnliches Lob von einem Mann, der selten Komplimente für die Konkurrenz übrig hatte.

Der Jaguar E-Type war da, und die Autowelt sollte nie wieder dieselbe sein.

Geboren in den Werkstätten von Browns Lane in Coventry, war der E-Type der geistige Nachfolger des legendären D-Type-Rennwagens, der Mitte der 1950er Jahre in Le Mans dominierte. Unter der wachsamen Aufsicht von Sir William Lyons und dem ingenieurtechnischen Genie Malcolm Sayer – einem Aerodynamiker, der Flugzeugprinzipien auf den Automobilbau übertrug – entstand der E-Type als etwas wahrhaft Außergewöhnliches.

Was den Auftritt des E-Type noch bemerkenswerter machte: Er kam aus Großbritannien – einem Land, das sich noch von der Nachkriegszeit erholte – und nicht aus den etablierten Sportwagenschmieden Italiens. Hier war ein Auto, das schneller war als ein Ferrari 250 GT, zum halben Preis und mit ebenso exotischer Erscheinung. Es war in vielerlei Hinsicht der perfekte Ausdruck britischer Nachkriegs-Optimismus und Einfallsreichtum.


Technische Brillanz: Rennsport-DNA für die Straße

Der Jaguar E-Type war nicht nur ein schöner Schein – unter seiner sinnlichen Haube verbarg sich echte Ingenieurskunst. Die technischen Daten lasen sich wie der Lebenslauf eines Rennwagens – wenig überraschend, stammte er doch direkt vom D-Type ab.

Im Herzen arbeitete der legendäre XK-Reihensechszylinder-Motor mit 3,8 Litern Hubraum und zunächst 265 PS. Dieser Motor, mit zwei obenliegenden Nockenwellen und halbkugelförmigen Brennräumen, hatte bereits fünf Le-Mans-Siege errungen. Im E-Type sorgte er für eine Höchstgeschwindigkeit von rund 240 km/h und eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in ca. 7 Sekunden – Werte, die viele teurere Konkurrenten alt aussehen ließen.

Auch das Fahrwerk war beeindruckend: Während viele Zeitgenossen noch auf getrennten Rahmen- und Karosseriestrukturen aufbauten, verfügte der E-Type über eine halbmonocoque Bauweise mit einem vorderen Hilfsrahmen für den Motor. Die Vorderradaufhängung war unabhängig mit Doppelquerlenkern und Torsionsstäben, hinten kam ein innovatives, unabhängiges System mit zwei Schraubenfedern und Dämpfern zum Einsatz.

Besonders revolutionär: Die serienmäßigen Scheibenbremsen rundum – zu einer Zeit, als viele Sportwagen noch mit Trommelbremsen fuhren. Die hinteren Bremsscheiben waren innenliegend montiert, um die ungefederten Massen zu reduzieren – ein rennsporterprobtes Feature, das das Fahrverhalten deutlich verbesserte.

Der Jaguar E-Type war außerdem eines der ersten Hochleistungsfahrzeuge mit Zahnstangenlenkung – ein Novum, das für exzellentes Fahrgefühl und Präzision sorgte, während sich italienische Exotenfahrer fragten, warum ihre dreimal so teuren Fahrzeuge so diffus wirkten.


Julian Thomas's 1962 Jaguar E-Type Lowdrag Coupe

Drei Serien: Die Evolution einer Ikone

In seinen 13 Produktionsjahren entwickelte sich der Jaguar E-Type über drei Serien hinweg, jede mit eigenem Charakter und Sammlerwert.

Jaguar E-Type Serie 1 (1961–1968): Die reinste Form

Die originale Serie 1 gilt als die reinste Umsetzung von Sayers Vision. Als Coupé mit festem Dach oder als Roadster erhältlich, faszinierte sie mit verdeckten Scheinwerfern, kleinem Kühlergrill und klaren Linien – ein sofortiger Klassiker.

Die frühesten Modelle mit „flachem Boden“ (ohne Fußraumvertiefung) sind besonders begehrt. 1964 wurde der Hubraum auf 4,2 Liter erhöht, die Leistung blieb jedoch gleich. Mehr Drehmoment machte das Auto alltagstauglicher, und das unsynchronisierte Moss-Getriebe wurde durch ein voll synchronisiertes ersetzt.

1966 kam die 2+2-Version mit längerem Radstand und Notsitzen hinten – praktisch, aber mit aus Sicht von Puristen gestörten Proportionen.

Jaguar E-Type Serie 2 (1968–1971): Die Übergangsphase

Die Serie 2 brachte 1968 Anpassungen an US-Vorschriften: offene Scheinwerfer, größerer Kühlergrill, und größere Rückleuchten unter der Stoßstange.

Mechanisch bremsten Stromberg-Vergaser (anstelle der dreifachen SUs) in US-Modellen die Leistung, aber der Wagen blieb ein beeindruckender GT. Servolenkung und Klimaanlage wurden erstmals angeboten – Zeichen der Entwicklung vom Sport- zum Luxuswagen.

Jaguar E-Type Serie 3 (1971–1974): Der Gentlemen-GT

Die finale Serie war die radikalste: Der Reihensechser wurde durch einen neuen 5,3-Liter-V12 mit 272 PS ersetzt. Nur noch als 2+2-Coupé oder Roadster erhältlich, erhielt er ausgestellte Radhäuser, einen neuen Frontgrill und breitere Spurweite.

Puristen vermissten die ursprünglichen Proportionen, doch der V12 machte ihn zum souveränen Gran Turismo. Mit 240 km/h Spitze und 0–100 in 6,4 Sekunden kombinierte er Kraft mit seidigem Lauf.


Konkurrenz und Kontext: Die Herausforderung der Etablierten

Der Jaguar E-Type trat gegen eine Elite an: Aston Martin DB4, Ferrari 250 GT und Maserati 3500 GT – alle teurer und exklusiver.

Der Aston war ähnlich schnell und hochwertig, aber doppelt so teuer. Der Ferrari war exotischer, aber dreimal so teuer. Der Maserati lag dazwischen, konnte aber weder in Leistung noch in Design mithalten.

Günstigere Konkurrenten wie Austin-Healey 3000 und Triumph TR4 boten britischen Open-Top-Charme, aber kein vergleichbares Niveau. Der Corvette aus Amerika fehlte es an Feinschliff und Eleganz.

Der E-Type demokratisierte den Exotenbesitz: 240 km/h, atemberaubendes Design und britisches Flair – zum erschwinglichen Preis für erfolgreiche Berufstätige, nicht nur für Aristokraten.


Julian Thomas - 1962 Jaguar E-Type at the 2015 Silverstone Classic (Photo 1)

Rennsport-DNA: Jaguars Tradition lebt weiter

Obwohl als Straßenwagen konzipiert, war der Jaguar E-Type zu rennsportlich, um ignoriert zu werden. Jaguar selbst hielt sich nach dem Rückzug 1956 zunächst zurück, aber Privatteams erkannten das Potenzial.

Am berühmtesten sind die zwölf Lightweight-Modelle von 1963/64: Aluminiumkarosserie, Leichtbaumotor, modifiziertes Fahrwerk – rund 300 PS bei nur 960 kg Leergewicht.

Teams wie das von Briggs Cunningham und Fahrer wie Graham Hill oder Jackie Stewart erzielten respektable Erfolge – wenn auch nicht ganz auf D-Type-Niveau. Hauptkonkurrent: der Ferrari 250 GTO.

Legendär sind auch die Coombs-E-Types und die Cunningham-Wagen in Weiß mit blauen Streifen – Le-Mans- und Sebring-Ikonen.

Ein weiteres Highlight: das aerodynamische Low Drag Coupé von Malcolm Sayer. Nur ein Werkswagen wurde gebaut – Nachbauten existieren.


Stärken und Schwächen: Der britische Charakter

Stärken:

  • Design: Zeitlos schön, eine lebende Skulptur – bis heute unwiderstehlich.
  • Leistung: Supersportwagen-Tempo zum halben Preis.
  • Fahrverhalten: Für die Zeit revolutionär – präzise Lenkung, starke Bremsen, unabhängige Federung.
  • Preis-Leistung: Ein Traumwagen, bezahlbar gemacht.

Schwächen:

  • Getriebe (3.8): Das Moss-Getriebe war schwergängig, mit unsynchronisiertem ersten Gang.
  • Kühlung: In heißen Gegenden anfällig für Überhitzung.
  • Elektrik: Lucas-Komponenten galten als unzuverlässig, besonders bei Feuchtigkeit.
  • Ergonomie: Enge Fußräume, versetzte Pedale – nicht ideal für große Fahrer.
  • Spätere Modelle: Mehr Gewicht, weniger Agilität – dafür komfortabler.

Sammlermarkt: Ein Meisterwerk mit Wertsteigerung

Aktueller Markt:

  • Serie 1 (3.8 Coupé): £150.000–£200.000, mit Premium für „Flat Floor“- und „Outside Bonnet Latch“-Exemplare.
  • Roadster: +15–20 % gegenüber Coupés.
  • Serie 2: £80.000–£120.000 – gute Mischung aus Alltagstauglichkeit und Stil.
  • Serie 3 V12: Einst unterschätzt, jetzt £70.000–£120.000, Spitzen-Roadster mehr.
  • Lightweight & Low Drag Coupé: Millionenwert – wenn überhaupt verfügbar.

Zukunftsaussichten:

  • Originalität: Matching Numbers und lückenlose Historie sind Gold wert.
  • Zustand: Top-Restaurierungen kosten über £150.000 – rechtfertigen aber den Preis.
  • Provenienz: Prominente Vorbesitzer oder Rennhistorie = Zuschlag.
  • Farbe: British Racing Green, Carmen Red, Opalescent Silver Blue besonders begehrt.

Kaufberatung: Worauf man achten eines Jaguar E-Type sollte

Karosserie: Rost ist der Feind. Schwachstellen: Schweller, Boden, Heckrahmen. Aluminiumteile (Motorhaube, Türen, Kofferraum) korrodieren elektrolytisch.

Motor: Öldruck warm im Leerlauf mindestens 40 psi, unter Last 70. Blauer Rauch = Ventilführung, Klappern = Ventilspiel prüfen. V12: Kühlung kritisch!

Getriebe: Moss-Box (3.8) rustikal. Synchro-Box (4.2) besser, aber nie ganz exakt. Achse sollte leise laufen.

Fahrwerk/Bremsen: Spiel an Vorderachse vermeiden. Hintere Inboard-Bremsen teuer in Wartung – oft aufgeschoben.

Innenraum: Originalleder meist restaurationsbedürftig. Alu-Armaturenbrett darf nicht angegriffen oder stumpf sein.

Papiere: Originalunterlagen, vollständige Historie und Jaguar Heritage Certificate erhöhen den Wert massiv.


Fazit: Der ewige Jaguar E-Type

Über 60 Jahre nach seinem Debüt bleibt der Jaguar E-Type das Sinnbild des britischen Sportwagens – ein perfektes Zusammenspiel von Leistung, Schönheit und Wert, das selbst Jaguar nie wieder ganz erreichte.

Spätere Modelle mögen von Sayers ursprünglicher Klarheit abgewichen sein, doch sie gewannen an Komfort und Nutzbarkeit – was die Legende langfristig stärkte.

In einem Land voller Autoikonen – vom Mini bis zum DB5 – ist der E-Type vielleicht die größte Leistung der britischen Automobilgeschichte: ein Moment perfekter Harmonie von Technik, Design und kommerziellem Mut.

Für Sammler, Enthusiasten oder einfach Liebhaber schöner Dinge bleibt er, was er immer war: automobile Königsklasse. Das Auto, vor dem selbst Enzo Ferrari den Hut zog. Ein Meisterwerk, das weltweit Bewunderung und Sehnsucht gleichermaßen weckt.

Der Jaguar E-Type ist nicht nur ein großer Jaguar oder ein großer Brite – er ist eines der größten Autos, die je gebaut wurden.

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