Weniger bekannte italienische Autobauer – Teil 2

Weniger bekannte (oder oft übersehene) italienische Autobauer – Teil II
Neben den berühmten italienischen Namen wie Ferrari, Lamborghini und Alfa Romeo gab und gibt es in Italien eine ganze Reihe weiterer, teils kleinerer oder nur kurzlebiger Automarken, die dennoch faszinierende Automobile schufen und die italienische Automobilgeschichte prägten. Im folgenden Teil stellen wir erneut mehrere solcher Marken vor: Bizzarrini, Bugatti Automobili (Campogalliano), Casalini, Chiribiri und Cisitalia. Dabei gehen wir auf ihre Gründung, wichtigsten Modelle, technischen Besonderheiten und ihren heutigen Status sowie ihre Bedeutung für Sammler ein.
1. Bizzarrini

Gründung und Hintergrund
- Gründer: Giotto Bizzarrini (*1926), ein renommierter italienischer Ingenieur, der zuvor bei Alfa Romeo und Ferrari tätig war. Zu seinen bedeutendsten Projekten zählte der legendäre Ferrari 250 GTO, an dessen Entwicklung er maßgeblich beteiligt war.
- Eigenes Unternehmen: 1964 gründete Bizzarrini sein eigenes Unternehmen in Livorno (Toskana).
Der 5300 GT – Ikone der Marke
- Bauzeit: 1964–1968 (unter verschiedenen Namensvarianten wie Bizzarrini 5300 GT, Iso Grifo A3/C, etc.)
- Stückzahl: Rund 133 Exemplare, was den 5300 GT heute zu einem äußerst seltenen und gesuchten Sammlerstück macht.
- Technische Daten:
- Motor: 5,3-Liter-Chevrolet-V8
- Leistung: Je nach Abstimmung zwischen ca. 350 und 400 PS
- Aufbau: Leichte und flache Karosserie, oft aus Aluminium
- Höchstgeschwindigkeit: Je nach Version über 270 km/h
- Besonderheiten:
- Kombination italienischer Karosseriekunst mit amerikanischer V8-Power.
- Sehr fortschrittliches Fahrwerkslayout, da Bizzarrini auf Renntechnik setzte (z. B. tiefer Schwerpunkt, Einzelradaufhängung hinten).
Wiederauferstehung der Marke Bizzarrini
- Neue Firmengründung: 2020 wurde erneut ein Unternehmen mit dem Namen Bizzarrini ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Historie und den Geist der Marke fortzuführen.
- 2023 – Das Hypercar „Giotto“:
- Angetrieben von einem V12-Motor, benannt zu Ehren von Giotto Bizzarrini.
- Design: Moderne Interpretation klassischer Bizzarrini-Linien, oft in Zusammenarbeit mit renommierten Designhäusern.
- Erwartete Stückzahlen: Noch unklar, aber mutmaßlich stark limitiert.
Sammlermarkt und heutige Bedeutung
- Wertentwicklung: Historische Bizzarrini-Fahrzeuge wie der 5300 GT erzielen bei Auktionen hohe Preise.
- Status: Die Marke ist ein Kleinod für Automobilenthusiasten, die sowohl italienisches Design als auch einen Schuss amerikanischer V8-Technik schätzen.
2. Bugatti Automobili (Campogalliano)

Ettore Bugatti – italienische Wurzeln
- Geburtsort: Ettore Bugatti (1881–1947) wurde zwar in Italien geboren (Mailand), doch sein bekanntestes Unternehmen, die „Bugatti Automobiles“, wurde in Molsheim (Elsass) gegründet, das damals zu Deutschland, später zu Frankreich gehörte.
- Italienischer Ableger: Von den drei Automobilunternehmen, die Ettore Bugattis Namen trugen bzw. tragen, war nur das zweite in Italien ansässig.
Das Artioli-Projekt in Italien
- Gründung: 1987 kaufte der italienische Unternehmer Romano Artioli die Markenrechte von Bugatti und errichtete eine hochmoderne Fabrik im italienischen Campogalliano (in der Provinz Modena).
- Modell: Bugatti EB110 (1991–1995)
- Motor: 3,5-Liter-V12 mit vier Turboladern (Quad-Turbo)
- Leistung: Zwischen 560 und 610 PS (je nach Variante EB110 GT bzw. EB110 SS)
- Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit über 340 km/h, Beschleunigung 0–100 km/h in rund 3,3 Sekunden (EB110 SS)
- Karosserie: Wurde mit vielen Hightech-Materialien hergestellt, u. a. einer Kohlefaser-Monocoque-Struktur (entwickelt von Aerospatiale).
- Designmerkmale: Ikonische hufeisenförmige Bugatti-Kühlergrill-Form an der Front.
Ende und Wiederbelebung der Marke
- Finanzielle Schwierigkeiten: Die aufwendige Produktion und die Wirtschaftskrise der 1990er führten 1995 zur Insolvenz.
- Volkswagen-Zeit: 1998 übernahm der Volkswagen-Konzern die Marke und verlegte den Firmensitz zurück nach Molsheim. Seither entstanden die modernen Supersportwagen wie Veyron, Chiron und Bolide.
Sammlermarkt und Bedeutung
- EB110: Durch seine geringe Stückzahl (etwa 139 Exemplare gebaut) und die technologische Besonderheit (Quad-Turbo-V12, Kohlefaser-Chassis) ist der EB110 heute ein äußerst gesuchtes Sammlerstück.
- Campogalliano-Fabrik: Steht inzwischen leer, fasziniert aber mit ihrer Architektur und Geschichte noch immer Besucher und Fotografinnen aus aller Welt.
3. Casalini

Gründung und Standort
- Gründet: 1939 in Piacenza (Emilia-Romagna)
- Gründer: Giovanni Casalini (ursprünglich Hersteller von Fahrrädern und Landmaschinen)
- Heutiger Sitz: Noch immer in Piacenza.
Vom Kleinstfahrzeug zum leichten Vierrad
- Erstes „Auto“: Sulky (frühe 1970er-Jahre)
- Motor: Winziger Zweitaktmotor mit nur 50 cm³
- Fahrzeugklasse: Kleinstfahrzeug (ähnlich einem Mopedauto), gedacht zur Kurzstreckenmobilität.
- Wechsel zu „Leichtfahrzeugen“: Seit 1994 offiziell tätig im Segment sogenannter „Leichtfahrzeuge“ (Mopedautos, in Italien auch als „Quadricicli leggeri“ bezeichnet).
- Kore 500: Eines der ersten Modelle mit etwas größeren Abmessungen und Motoren um 500 cm³.
- Neue Sulky (ab 2008): Wiederbelebung des Kultnamens mit moderner Optik und verbesserter Technik.
Aktuelle Modellpalette
- 550 Alpina, 550 Trofeo, 550 Gransport, Granturismo: Kleinstfahrzeuge, die eine PKW-ähnliche Optik bieten, aber unter 500 cm³ bleiben.
- Kerry: Kleines Nutzfahrzeug (Pick-up), ebenfalls mit maximal 500 cm³.
- Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit in der Regel um 45–70 km/h (je nach Zulassungsart und Land).
Sammlermarkt und Bedeutung
- Position: Casalini bedient eine Nische für Kunden, die ein kompaktes Fahrzeug ohne traditionellen Führerschein (in einigen Ländern) oder mit reduzierten Steuer-/Versicherungskosten benötigen.
- Sammlerwert: Historische Sulky-Modelle der 1970er sind Liebhaberstücke, jedoch eher in der Mikromobil-Szene. Klassische automobile Großauktionen spielen für Casalini eine untergeordnete Rolle.
4. Chiribiri
Gründung und Aufstieg der Italienischen Marke
- Gründer: Antonio Chiribiri (1865–1932), ursprünglich Produzent von Flugzeugteilen in Turin.
- Umstieg auf Autos: Bald begann man, unter dem Namen „Chiribiri“ auch Automobil- und Rennwagenprojekte zu verfolgen.
Rennsport-Erfolge
- Team und Personen:
- Amadeo (Sohn von Antonio) und Ada (Tochter) waren in die Unternehmensleitung eingebunden.
- Tazio Nuvolari, einer der berühmtesten Rennfahrer der Geschichte, pilotierte Chiribiri-Rennwagen.
- Erfolge: Die Rennwagen waren für ihre Zuverlässigkeit und Agilität bekannt. Verschiedene Podiumsplätze und lokale Siege steigerten die Bekanntheit der Marke.
Serienfahrzeuge
- Motorisierung: Max. 1,6 Liter Hubraum, überwiegend Vierzylinder.
- Absatz: Kommerziell blieb der Erfolg aus, die Produktion lief nur in kleiner Stückzahl.
- Besonderheiten: Teilweise fortschrittliche Ideen im Motorenbau (z. B. obenliegende Nockenwellen, je nach Modell), jedoch fehlte es an finanziellen Mitteln für eine breitere Vermarktung.
Ende der Marke
- Insolvenz: 1929 musste das Unternehmen schließen, bedingt durch die wirtschaftlich schwierigen Zeiten und die mangelnde Nachfrage nach Straßenfahrzeugen.
- Sammlerwert: Originale Chiribiri-Fahrzeuge sind heute extrem selten. Unter Vorkriegs-Enthusiasten und Rennsport-Historikern haben sie jedoch Kultstatus, insbesondere wenn sie mit Namen wie Nuvolari in Verbindung gebracht werden.
5. Cisitalia
Gründung und Hintergrund
- Gründer: Piero Dusio (1899–1975), Geschäftsmann und ehemaliger Fußballspieler.
- Standort: Turin (Piemont)
- Bedeutung des Namens: „Cisitalia“ ist eine Abkürzung für „Compagnia Industriale Sportiva Italia“.
Die bekanntesten Modelle
Cisitalia 202
- Baujahre: Ab 1947 bis in die frühen 1950er
- Varianten: Coupé, Cabriolet (202 SC) und weitere Karosserieanpassungen durch namhafte Carrozzerien (z. B. Pinin Farina, Vignale).
- Gesamtproduktion: Etwa 170 Fahrzeuge (alle Varianten zusammengerechnet).
- Design-Meilenstein:
- 1972 erstmals als Automobil im Museum of Modern Art (MoMA) in New York ausgestellt – ein Ritterschlag für das Automobildesign.
- Fließende Linien und integrierte Kotflügel galten als revolutionär.
- Technische Daten:
- Motor: In der Regel ein 1,1-Liter-Vierzylinder (Fiat-Basis), leistungsgesteigert auf rund 50–65 PS.
- Fahrleistungen: Maximalgeschwindigkeit je nach Variante um 150 km/h.
Rennwagen D46
- Einsatz: Monoposto-Rennwagen in der Voiturette-Klasse.
- Konstruktion: Einfache und leichte Bauweise, um auch Privatfahrern den Einstieg in den Motorsport zu ermöglichen.
Grand-Prix-Wagen (Cisitalia 360)
- Entwicklung: In Auftrag gegeben bei Ferdinand Porsche.
- Technik: Aufgeladener 1,5-Liter-Boxermotor, fortschrittliche Antriebstechnik (Allradantrieb in Planung).
- Resultat: Ein ambitioniertes Projekt, das jedoch kommerziell nicht umgesetzt werden konnte. Nur Prototypen entstanden.
Sammlermarkt und heutiger Status
- Exklusivität: Cisitalia-Fahrzeuge sind auf Oldtimer-Veranstaltungen eine Rarität.
- Sammlerwert: Das 202-Modell ist besonders begehrt und kann in exzellent restauriertem Zustand bei Auktionen hohe Preise erzielen – nicht zuletzt dank seines künstlerischen Status.
Fazit und Ausblick
Wie auch im ersten Teil dieser Reihe zeigen die Marken Bizzarrini, Bugatti Automobili (Campogalliano), Casalini, Chiribiri und Cisitalia, dass Italiens Automobilgeschichte weitaus vielfältiger ist, als es die dominierenden Namen Ferrari, Maserati oder Fiat allein vermuten lassen. Jede dieser Marken hat ihre ganz eigene Geschichte:
- Bizzarrini verknüpft Rennsport-DNA mit italienischer Designkunst und ist durch den neuen „Giotto“ 2023 sogar wieder in den Schlagzeilen.
- Bugatti Automobili in Campogalliano steht für einen der innovativsten Supersportwagen der 1990er-Jahre (EB110), ehe sich die Marke 1998 unter VW in Frankreich neu erfand.
- Casalini bedient eine Nische im Kleinstfahrzeug-Segment und zeigt, wie Mobilität in Italien auch auf minimalistische Weise funktionieren kann.
- Chiribiri erinnert an eine Zeit, in der Enthusiasmus und Rennsportleidenschaft entscheidende Motive für den Automobilbau waren.
- Cisitalia verbindet Hochleistung, Design und Technik mit einer Prise Motorsport-Geschichte und gehört zu den wenigen Marken, die künstlerische Anerkennung in Museen weltweit erfahren haben.
Obwohl einige dieser italienischen Unternehmen längst der Vergangenheit angehören, leben sie in Museen, Sammlungen und im Bewusstsein passionierter Oldtimer-Fans weiter. Die Marken verkörpern ein Stück italienische Ingenieurs- und Designkultur, das bis heute Autoliebhaber inspiriert – gerade in Zeiten des Wandels hin zu Elektro- und Hybridantrieben ist der Blick zurück auf diese kleinen, oft visionären Manufakturen ungemein faszinierend.